Die Rokeby-Venus
Anfang «Prinzessin in Formalin»
Die Silhouette der «Rokeby-Venus» vor Augen, schritt er durch die weißgetünchten Gänge der Charing Cross Station. Auf der Rolltreppe glitt er hinunter, er strebte der Circle Line Richtung Westen zu. Auf dem Bahnsteig wartete er in der Menge. Das Unglaublichste war die geschwungene Beckenlinie dieser Spanierin, die das Gesicht eines niederländischen Bauernmädchens und den Körper einer Duchesse besaß. Das tiefe Rot im Hintergrund des Gemäldes bauschte sich üppig in die ausgesessenen Polster des Waggons hinein, den er bestieg. Der Zug glitt durch die Tunnelröhren davon, und die knochigen Beine einer Jamaikanerin auf der Bank gegenüber verwischten ihm allmählich das Bild von den Gliedmaßen, die auf der Leinwand wie die Fänge eines abgeschossenen Rehes im aschfahlen Bettlaken lagen.
Seinen Dienst bei der rustikalen Schönheit, die in der National Gallery jedermann ihren Körper darbot, unbekümmert, mit was für Augen man ihren Rücken anschaute, absolvierte er meist noch gerade ganz kurz vor sechs. Dann ließ er sich von dieser spanischen Venus den «Strand» hinaufziehen und setzte sich in den matt erleuchteten Nebenraum, wo sie sich entspannt im Spiegel betrachtete. Die abweisende Kühle ihres vollkommenen Frauenleibs schlürfte er, wie Kellog’s Cornflakes, als eine Art Nahrung ein. Er konsumierte vom hellen Giftstoff der Nacktheit, die ihn berauschte, seinen Körper vergrößerte, ihm die Ampulle voll neuem Lebensdrang gab, mit der er sich dann durch die Rush Hours kämpfte.
Der Rokeby-Venus-Preis S. 373
Ende Januar schrieb er einen Preis aus, es sollte im Frühjahr eine Rokeby-Venus erkoren werden, die mit ihrem Hinterteil am genauesten die Pygo-Physiognomie, also den Gesichtsausdruck des Ärschchens der Rokeby-Venus von Velazquez erreichte. In den Zeitungen erschienen jetzt Bilder mit dem betreffenden Ausschnitt, die Farbbeilage des Daily Telegraph brachte das entscheidende Stück zweiseitig in einem erstklassigen Druck, was stark zur aufkommenden Sitte unter jungen Mädchen beitrug, die rokebyistische Originalaufnahme an die Wände zu hängen und in den stillen Abendstunden im Zimmer vor dem Spiegel ihre Schinklein in die Pose des großen Vorbilds auf der Leinwand zu bringen. Spiegelfabrikanten spürten eine merkliche Belebung ihres Geschäfts. Serge hatte ? 1.000 ausgesetzt, worauf er den Konsultationspreis auf fünfunddreißig Pfund erhöhte, denn natürlich rannte jetzt jedermann, der es sich leisten konnte oder auch nicht, zu ihm, viele Zicklein pumpten ihren Ziegenbock an, Onkel fühlten sich geneigt, etwas für den Hintern der Nichte springen zu lassen, man versprach sich viel größere Chancen, den Preis zu gewinnen, wenn man sich vorher von Signor Monteonore, dem Rokebyisten, vermessen ließ.
Die Preisverteilung sollte im Frühling stattfinden. Serge beauftragte Shannys Meinungsforscher, und Anne Broadhurst fand heraus, dass seine Kundinnen sich immer mehr aus besseren Kreisen rekrutierten, die das Ganze als einen gesellschaftlichen Hochspaß nahmen, sie verkleideten sich gern als kleine Verkäuferinnen, und man lachte über Serges komische Manieren und Allüren, seine verschrobenen Formulierungen beim Sprechen der Horoskope, man kümmerte sich einen Teufel darum, was er wirklich prophezeite, es wurde einfach in den Büros und auf Parties herumgeboten zur pygometrischen Versüßung der Atmosphäre.
So las er in Annes Bericht, er habe einer vierzehnjährigen Brünetten aus Wandsworth gesagt, ihr Kuchen setzte ihn in tiefstes Erstaunen (worauf er sich gesetzt und gesonnen habe), sie habe den Uranus und den Neptun im zweiten Haus, was auf hasardierendes Arschgeschwenke und zweifelhafte Liebschaften deute, sie solle aufpassen, dass sie ihre Sendung als unerkannte Hure nicht verpasse. Einer siebzehnjährigen Waliserin aus Abergavenny: er sehe einen gläsernen Arsch, das vierte Haus sei bedeutsam angefüllt mit jungen Executives einer Transportfirma, doch ihr Ruf werde sich halten, sie habe viele okkulte Möglichkeiten und versteckte Okkasionen zum Vögeln. Einer wuchtigen Blonden, Tochter aus einem reichen Haus aus Kent, die sich als Telefonistin verkleidet hatte: ihr Arsch stehe im vierten Haus, wodurch er zum großen Wohltäter für viele werde, sie solle ihn behandeln wie ihr Switch Board, und jeden reinstecken (plug in), der anrufe. Einer siebzehnjährigen Blumenverkäuferin aus Greenwich Park: er sehe eine beinahe verpaßte Gelegenheit zum Vögeln durch die Stellung des Mars im zehnten Eckhaus an der Lewisham Road, sie solle gehen und dort läuten, übrigens gehe der Nullmeridian genau durch ihre Spalte, wenn sie zu Hause auf dem Sofa liege. Der schmal- aber hochhüftigen Tochter eines Barristers aus Golders Green, die sich als Tochter eines Lorrydrivers aufgemacht hatte: er sehe keinen Orgasmus bis zweiunddreißig, sie solle mogeln, so tun, als ob es ihr käme beim Vögeln, dann sehe er eine baldige glückliche Heirat …